Die EU ist und bleibt der wichtigste Handelspartner der Schweiz, auch wenn die mehrjährigen Verhandlungen über ein Rahmenabkommen gerade gescheitert sind und der Schweizer Bundesrat sie offiziell beendet hat. Etwa 120 bilaterale Einzelverträge über die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen sollten dabei in einem einzigen Abkommen gebündelt werden.
Die Folgen der Entfremdung zwischen der EU und der Schweiz werden vor allem für die Hersteller von Medizinprodukten erheblich sein – auf beiden Seiten. Für die Schweizer Firmen wird der Zugang zum EU-Binnenmarkt erheblich aufwändiger und teurer, aber auch die Unternehmen der EU werden sich neu um eine Zulassung ihrer Waren auf dem eidgenössischen Markt bemühen müssen.
Denn die EU-Kommission will die bestehenden Abkommen ohne den Rahmenvertrag nicht mehr aktualisieren. Das betrifft als erstes die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA). Mit dem Geltungsbeginn der neuen EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) verliert die Schweizer Medizintechnikindustrie deshalb ihren bisher barrierefreien Zugang zum EU-Binnenmarkt und gilt jetzt plötzlich als Drittstaat.
Das ist umso schwerwiegender, weil die EU mit der MDR ihre Regeln zur Patientensicherheit angepasst hat. Vollständig vorbereitet ist jedoch ein grosser Teil der Unternehmen bisher noch nicht und wird in den kommenden Monaten alle Prozesse gemäss den neuen Vorschriften angleichen müssen. Wie Großbritannien nach dem Brexit benötigen Unternehmen jetzt auch in der Schweiz Niederlassungen oder einen Bevollmächtigten, also einen European Authorized Representative (EAR) bzw. einen Schweizer Bevollmächtigten auf der jeweils anderen Seite der Grenze. Der Zeitaufwand und die nötigen anderen Umstellungsprozesse werden nach Expertenmeinung rund zwei Prozent der Produktkosten zusätzlich betragen. Das ist eine Größe, die den internationalen Wettbewerb beeinflussen kann.
Betroffen ist ein für die Schweiz volkswirtschaftlich bedeutender Industriezweig mit rund 1.400 Unternehmen und etwa 63.000 Beschäftigten. Viele der Gutqualifizierten davon fragen sich nun, ob sie den Anschluss an die europaweite Forschungsgemeinschaft verlieren werden. Schliesslich droht der Ausschluss aus vielen universitären und wissenschaftlichen Organisationen und Gremien.
Gleichzeitig verlangt der Mehraufwand den kurzfristigen Einsatz zusätzlicher personeller Ressourcen. Viele medizintechnische Unternehmen brauchen schnell erfahrene Mitarbeiter:innen, die sie in der Bewältigung der anstehenden Aufgaben wirkungsvoll unterstützen. Für alle, die eine neue berufliche Perspektive suchen, ist das eine exzellente Chance.
Aber auch die Unternehmen können profitieren, indem sie externe Kompetenzträger:innen ins Team holen oder mit Projektaufträgen einbinden. Das gescheiterte Rahmenabkommen ist deshalb nicht nur eine ökonomische Herausforderung, es bietet auch ein erstaunliches Potenzial für eine positive Entwicklung auf dem Jobmarkt.