Unter dem Begriff „Second Sourcing“ versteht man die Strategie, notwendige Komponenten, Geräte oder Materialien von mehreren unabhängigen Lieferanten zu beziehen. Mit anderen Worten: Es geht um die Beschaffung von vergleichbaren Produkten über unterschiedliche Lieferanten. Insbesondere in der Life Science Branche muss dabei sichergestellt werden, dass diese in der Lage sind, die benötigten Produkte in Übereinstimmung mit den strengen Qualitäts- und Sicherheitsstandards bereitzustellen.
Diese Strategie des Second Sourcings zielt darauf ab, das Risiko von Lieferengpässen, Qualitätsproblemen, regulatorischen Verstössen oder anderen Störungen in der Lieferkette zu minimieren. Durch die Einführung von Second Sourcing können Unternehmen sicherstellen, dass sie kontinuierlich hochwertige Produkte herstellen können und gleichzeitig die Abhängigkeit von einem einzelnen Lieferanten reduzieren, was die Lieferkettenstabilität, die Patientenversorgung und auch die Patientensicherheit erhöht.
Verschiedene Beschaffungsstrategien
Wie bereits beschrieben, handelt es sich beim Second Sourcing um eine Beschaffungsstrategie. Es gibt allerdings noch verschiedene weitere Strategien, die in unterschiedliche Kategorien aufgeteilt werden:
- Anzahl der Lieferanten: Single, Dual und Multiple Sourcing
- Ort der Beschaffung: Local, National und Global Sourcing
- Art der Güter: Unit, Modular und System Sourcing
Die Anzahl der Lieferanten
Man unterscheidet drei Arten an Beschaffungsstrategien, die sich mit der Anzahl der Lieferanten befassen.
- Single Sourcing: Beim Single Sourcing werden alle Teile von einem Lieferanten geliefert. Das bedeutet, dass ein einziger Lieferant die Bauteile und Rohstoffe liefert. Der Vorteil bei dieser Option ist die Möglichkeit, eine langjährige und langfristige Geschäftsbeziehung aufzubauen. Die Preise sind in den meisten Fällen aufgrund von Mengenrabatten günstiger. Die Nachteile liegen allerdings auf der Hand: Sobald eine Lieferung ausfällt, hat das Unternehmen keine direkte Alternative. Das kann unter anderem zu Produktionsausfällen führen.
- Dual Sourcing: Bei dieser Strategie gibt es zwei Lieferanten, was für mehr Sicherheit der gelieferten Güter und für weniger Abhängigkeit von den Lieferanten sorgen soll. Der grösste Vorteil dabei ist, dass einem möglichen Ausfall entgegengewirkt werden kann und der zweite Lieferant im Zweifelsfall einspringen könnte. Auch der Preis kann bei dieser Option teilweise runtergehandelt werden, da die beiden Lieferanten in direkter Konkurrenz stehen. Dual Source kann in Branchen mit besonders hohen Anforderungen an die Kontinuität der Lieferkette, wie der Medizintechnik oder der Luftfahrt, eingesetzt werden.
- Multiple Sourcing: Beim Multiple Sourcing werden die Bestellungen auf verschiedene (und mehr als zwei) Lieferanten verteilt. Die Vorteile sind sehr ähnlich zu denen des Dual Sourcings: Selbst bei einem Ausfall mehrerer Lieferanten gibt es noch eine Alternative und auch die Preise können aufgrund der direkten Konkurrenz gedrückt werden. Allerdings gibt es auch ein paar Nachteile: Der logistische Aufwand mit der Koordination aller Geschäftspartner ist deutlich komplexer als beim Single oder Dual Sourcing. Der ständige Austausch mit den Lieferanten und der regelmässige Preisvergleich sind zwei Beispiele dafür.
Nicht jede dieser Strategien ist für jeder Unternehmen geeignet oder umsetzbar. Daher ist es wichtig, dass Unternehmen individuell abwägen, welche Vorteile und Nachteile die jeweilige Beschaffungsstrategie mit sich bringt.
Unterschiede: Second Sourcing & Dual Sourcing
In einigen Kontexten wird nicht von Second Source, sondern von Dual Source gesprochen. Je nach Quelle werden die Begriffe teilweise synonym verwendet oder es werden Unterschiede gemacht. In den meisten Fällen besteht der Hauptunterschied darin, dass die Dual Source Strategie genau zwei Lieferanten beinhaltet, wohingegen beim Second Sourcing auch von mehr als zwei Lieferanten Produkte bezogen werden können. Man könnte demnach also Second und Multiple Sourcing auch synonym verwenden.
Es gibt also keine allgemeine Regel, ob sich Second Sourcing auf nur genau zwei Lieferanten beschränkt oder es auch mehr sein können.
Nachteile von Second Sourcing
Materialien, Komponenten oder vor allem Produkte, die per Second Sourcing bezogen werden, können per Definition nicht einzigartig sein, da es ja eine Alternative geben muss. Wenn das komplette Produkt per Second Sourcing geliefert wird, dann ist der Fall nicht unwahrscheinlich, dass es bei Materialknappheit bei beiden Produkten zu Schwierigkeiten kommt. Die meisten Produzenten planen zudem die Herstellung ihrer Ware nicht mit zu viel Überschuss. Das bedeutet, dass es in einer Ausnahmesituation mit einer erhöhten Nachfrage bei einem der Lieferanten nicht übermässig viele zusätzliche Produkte sofort oder direkt verfügbar sind.
Ein weiterer Nachteil ist der Kostenfaktor, da an mehreren Designs oder Produkten parallel gearbeitet werden muss, was doppelte Kosten verursacht. Zudem sind viele, vor allem grosse Projekte, Single Source, weil eine zweite Lieferquelle in den meisten Fällen die Anforderungen nicht zu 100 % erfüllen kann.
Second Sourcing Strategien
Es gibt bei der Qualität von Produkten oder Komponenten drei verschiedene Stufen: Ultra-High-Level, Good-Enough und Mee-too. Dabei weisen Produkte mit Good-Enough Qualität etwa 85 % der Anforderungen und Features auf. Produkte mit diesem Qualitätslevel gibt es beispielsweise in China, allerdings nicht in Europa. Insbesondere in Branchen wie der Pharma oder Medizintechnik werden solche Alternativen nicht verwendet.
Gängige Second Sourcing-Strategien, die angewendet werden, sind:
- Qualifizierung von Lieferanten: Unternehmen, beispielsweise in der Medizintechnik oder Pharma Branche, müssen sicherstellen, dass alle Lieferanten – egal, ob Single oder Second Sourcing – strenge Qualitäts- und Sicherheitsstandards einhalten. Die Qualifizierung von Lieferanten ist ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass alle Produkte den regulatorischen Anforderungen entsprechen.
- Unterschiedliche Beschaffungsquellen: Unternehmen können auch sicherstellen, dass sie kritische Komponenten oder Produkte von Lieferanten in verschiedenen geografischen Regionen oder Ländern beziehen, um das Risiko von regionalen Störungen oder Naturkatastrophen zu verringern.
- Risikobewertung und -management: Eine kontinuierliche Überwachung und Bewertung der Risiken in der Lieferkette sind entscheidend. Unternehmen sollten Risikomanagementstrategien entwickeln, um auf unerwartete Ereignisse reagieren zu können, die die Lieferkette beeinflussen könnten.
- Vertragliche Vereinbarungen: Vertragliche Vereinbarungen mit Lieferanten können ebenfalls dazu beitragen, die Stabilität der Lieferkette zu gewährleisten. Hierbei können Vereinbarungen über Lieferzeiten, Qualitätsstandards und andere wichtige Parameter getroffen werden.
- Kapazitätsmanagement: Die Fähigkeit, schnell zwischen verschiedenen Lieferanten zu wechseln, erfordert oft eine sorgfältige Planung und Überwachung der Kapazitäten der Lieferanten. Dies kann sicherstellen, dass bei Bedarf ausreichende Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen.
Je nach Unternehmen können die Strategien natürlich variieren, da die spezifischen Anforderungen des Unternehmens und die Risikofaktoren in der Lieferkette entscheidend sind. In der Life Science Branche sind die regulatorischen Anforderungen besonders streng, daher ist es von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass alle Lieferanten die erforderlichen Standards erfüllen.
Ist Second Sourcing nur ein Kompromiss?
Einige Unternehmen sehen in der Single Source Strategie das bestmögliche und einzigartige Produkt und in der Second Source Strategie einen Kompromiss. Ist Second Sourcing also nur eine schlechtere Alternative? Darauf gibt es leider keine allgemeingültige Antwort, da es von verschiedenen Faktoren abhängt, ob Second Sourcing sinnvoll ist oder nicht: Das konkrete Unternehmen, aber auch die entsprechenden Produkte oder Materialien, die durch Second Sourcing geliefert werden sollen, spielen dabei die grösste Rolle.
Nichtsdestotrotz kann Second Source eine gute Möglichkeit für eine Entspannung der Lieferketten-Situation sein – wenn man die Branche, die konkreten Produkte, den Markt und die daraus resultierenden Kosten für eine Zweit-Qualifizierung berücksichtigt. Der wichtigste Punkt dieser möglichen Innovation ist das Risk Management, bei dem betrachtet werden muss, wann oder auch für welche Märkte eine Alternative benötigt wird.