Etwa 5 % aller häufig verschriebenen Medikamente besitzen ein Suchtpotenzial. Manche davon können bereits bei geringer Einnahmedosis oder nach kurzen Einnahmezeiträumen abhängig machen – das ist aber von Medikament zu Medikament unterschiedlich. Erfahren Sie, wie viele Menschen wirklich von Medikamentenmissbrauch betroffen sind und was kann dagegen getan werden kann.
Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/m/medikamentenmissbrauch-und-abhaengigkeit.html
Unter Medikamentenmissbrauch versteht man den nicht bestimmungsmässigen Gebrauch von Medikamenten, also die Anwendung für einen nicht vorgeschrieben Zweck, die Einnahme einer anderen Dosis oder über einen längeren Zeitraum hinweg als verschrieben. Man spricht zudem von Medikamentenmissbrauch, wenn die Person bereits körperliche oder psychische Folgeschäden hat.
Langanhaltender Missbrauch von Medikamenten führt in vielen Fällen zur Gewöhnung, die häufig zu einer Abhängigkeit vom entsprechenden Medikament führt.
Laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sind ältere Menschen eher von Medikamentenmissbrauch betroffen als jüngere Menschen und Frauen eher als Männer. Am häufigsten kommt es bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie bei Schmerzmitteln zu Medikamentenmissbrauch. Weitere Medikamente, die zum Medikamentenmissbrauch führen können, sind Abführmittel, abschwellende Nasensprays sowie entwässernde und alkoholhaltige Medikamente.
Zahlen in Deutschland
Schätzungen zufolge sind rund 2,7 Millionen Menschen in Deutschland medikamentenabhängig oder nehmen Medikamente in schädlichen Dosen ein. Die grösste Gruppe, in der es zu Medikamentenmissbrauch von Beruhigungsmitteln kommt, sind ältere Frauen, wohingegen bei Schmerzmitteln junge Männer zwischen 20 und 40 Jahren den grössten Anteil ausmachen.
Wie kommt es zu Medikamentenmissbrauch?
Es gibt zahlreiche Gründe, warum Personen abhängig von Medikamenten werden. Oft spielen mehrere Faktoren eine Rolle.
Ein möglicher Grund kann sein, dass einem als Kind ein falscher Umgang mit Medikamenten vorgelebt wurde. Wenn Eltern selbst häufig zu Medikamenten, wie beispielsweise Schmerzmitteln, greifen, sind Kinder anfälliger für Medikamentenmissbrauch. Etwa 20 % der Mädchen im Alter von 14 bis 16 nehmen fast täglich Schmerzmittel ein.
Ein weiterer Grund ist das Gefühl von Überforderung im Privat- oder im Berufsleben. In vielen Fällen wird dann als Mittel zur Stressbewältigung die Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln gewählt.
Auch eine plötzliche gravierende Veränderung des Alltags, wie der Ruhestand, die Wechseljahre oder traumatische Erlebnisse können Medikamentenmissbrauch zur Folge haben.
Häufig ist auch die Behandlung chronischer Erkrankungen, wie beispielsweise chronische Kopfschmerzen oder Migräne, oder die Therapie mehrerer Erkrankungen parallel der Auslöser für eine Medikamentenabhängigkeit. Aber auch Menschen mit unklaren Erkrankungen, die lange andauernde Symptome haben, für die keine Ursache gefunden werden kann, sind einem erhöhtem Risiko ausgesetzt.
Ein weiterer Grund sind psychische Erkrankungen wie Schlafstörungen oder Ängste. Da diese Krankheiten oft mit psychosomatischen Symptomen einhergehen, versuchen die Betroffenen sie mit Schlaf- oder Beruhigungsmitteln zu behandeln.
Medikamentenabhängigkeit erkennen
Viele Personen sind sich ihrer Sucht (zu Beginn) nicht bewusst, denn der Prozess vom normalen Gebrauch zur Abhängigkeit ist oft ein schleichender.
Es gibt von Medizinern definierte Kriterien, von denen drei in den vergangenen 12 Monaten erfüllt sein müssen, damit man von einer Medikamentenabhängigkeit spricht:
- Sehr starker Wunsch bis hin zum Zwang des Konsums des Medikaments
- Kontrollverlust über Beginn, Menge sowie Ende der Einnahme
- Auftreten von körperlichen Entzugserscheinungen, wenn die Einnahme verringert oder beendet wird
- Bedarf an stetig höheren Dosen, um erwünschte Wirkung des Medikaments zu erhalten
- Hobbys oder Interessen der Person werden vernachlässigt, da die Beschaffung der Medikamente einen immer höheren Zeitaufwand mit sich bringt
- Einnahme wird nicht abgebrochen, obwohl die Person bereits spürbare körperliche oder psychische Schäden zeigt
Behandlung der Medikamentenabhängigkeit
Ein wesentlicher Schritt bei der Behandlung einer Medikamentenabhängigkeit ist der Entzug, der von einer Psychotherapie begleitet werden sollte. Wichtig dabei ist, die Medikamenteneinnahme langsam zu reduzieren und nicht schlagartig die Einnahme einfach zu beenden.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten für einen Entzug bei einer Medikamentenabhängigkeit. Zum einen gibt es Entzugseinrichtungen, zum anderen können Patientinnen und Patient auch einen ambulanten Entzug machen. In den Entzugseinrichtungen ist der Entzug oft deutlich schneller möglich als bei einer ambulanten Behandlung. Je nach dem entsprechenden Medikament gibt es unterschiedliche Entwöhnungsbehandlungen, oft ist auch eine medizinische Rehabilitation möglich und sinnvoll.
Wichtig ist auch die Nachsorge: Hierfür gibt es zahlreiche Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder auch regelmässige Gruppentherapiesitzungen. Welche Möglichkeit einer Person am besten hilft, ist sehr individuell. Betroffene können auch unterschiedliche Angebote ausprobieren, um die passende Lösung für sich zu finden.
Einige Beratungsstellen, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), bieten Online-Portale an, in denen betroffene Personen nach Beratungsstellen in ihrer Nähe suchen können.
Medikamentenmissbrauch vorbeugen: Was können Patientinnen und Patienten selbst tun?
Ein besonders wichtig ist es, die korrekte Dosierung zu beachten und sich an die Angaben des ärztlichen Personals zu halten. Ausserdem sollte man die Anwendungsdauer so kurz wie möglich halten, es geht also darum, die Medikamente nur so lange und auch nur in einer so geringen Dosis anzuwenden, wie es verschrieben wurde. Das bedeutet aber nicht, dass man zu früh die Medikation beenden sollte. Im Zweifelsfall kann man sich von der Ärztin oder dem Arzt beraten lassen, ab welchem Punkt der Therapie man die Medikamente ohne Bedenken absetzen kann.
Man sollte im Vorfeld auch ein Gespräch mit einem Arzt oder Apotheker suchen, um über mögliche Nebenwirkungen zu sprechen. So weiss man dann, wie man mit dem Medikament umgehen soll.
Konkrete Tipps, was Patientinnen und Patienten selbst machen können, sind:
- Medikamente nur nach Verschreibung anwenden, bei Unsicherheiten Rücksprache mit dem behandelnden Arzt halten
- Sich genau über Medikamente informieren und den Beipackzettel ausführlich studieren
- Medikamente sicher aufbewahren
- Bei Online-Käufen besonders vorsichtig sein
- Sich im Klaren über die Anzeichen von Medikamentenmissbrauch sein und im Zweifelsfall sowohl bei sich selbst als auch bei anderen Personen diese Anzeichen erkennen
- Keine verschreibungspflichtigen Medikamente an andere Personen weitergeben
Schutz vor Medikamentenmissbrauch: eine wichtige Aufgabe der Pharma Branche
Die Pharma Branche spielt beim Schutz vor Medikamentenmissbrauch eine entscheidende Rolle. Sie kann über das Thema aufklären und sensibilisieren: Wie viele Menschen sind von Medikamentenmissbrauch betroffen? Wie kann ich vorgehen, wenn ich den Verdacht habe, selbst abhängig von einem Medikament zu sein.
Des weiteren ist eine der Aufgaben der Pharma Branche die Überwachung von Nebenwirkungen und somit auch die Überwachung des Suchtpotenzials eines Medikaments, dafür ist eine enge Zusammenarbeit und ein regelmässiger Austausch mit Patientinnen und Patienten notwendig.
Zudem sollten Pharma-Unternehmen bei der Entwicklung von Medikamenten mehr Wert darauflegen, das Missbrauchspotential möglichst gering zu halten.
Medikamentenmissbrauch: Gefahr wird noch zu häufig unterschätzt
Medikamentenmissbrauch stellt ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem dar, dessen Gefahren auch heute noch viel zu häufig unterschätzt werden. Daher ist sowohl eine umfassende Aufklärung der Patientinnen und Patienten und des medizinischen Fachpersonals notwendig als auch die Entwicklung von und Forschung an Medikamenten mit geringerem Suchtpotential. Durch diese Forschung und die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren wie Ärzten, Apothekern und Regulierungsbehörden können Pharmaunternehmen ihren Teil zur Lösung des Problems beitragen.
Es bedarf weiterhin mehr Aufklärarbeit, um zum einen präventiv zu verhindern, dass es zu Medikamentenmissbrauch kommt, aber zum anderen auch, dass Menschen die Anzeichen möglichst frühzeitig erkennen. Die Angebote für die Behandlung von Medikamentenmissbrauch sind vielfältig und es gibt immer mehr Hilfsangebote in den verschiedenen Städten, so dass jede Person die für sie geeignete Möglichkeit finden kann.