Am 3. März 2021 brachte das Bundeskabinett den Gesetzesentwurf für das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, auf den Weg, um die Einhaltung von Menschenrechten und den Umweltschutz zu stärken. Am 1. Januar 2023 ist dieses für einige Unternehmen in Kraft getreten.
Dank der fortschreitenden Globalisierung ist unsere Welt so vernetzt wie noch nie. Globale Lieferketten ermöglichen ein immer grösseres Warenangebot zu günstigen Preisen, bringen aber auch neue Herausforderungen mit sich: Nicht nur Pandemien und Krieg stellen globale Lieferketten auf die Probe – auch die Einhaltung der Menschenrechte ist in globalen Lieferketten bis dato nicht deckend gegeben. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation und UNICEF sind weltweit 160 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen. Und mit 79 Millionen leidet fast die Hälfte dieser zudem unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen.

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Lieferkettensorgfaltspflicht: Inhalte des neuen Gesetzes
Das neue Lieferkettengesetz regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten. Ziel des Gesetzes ist dabei nicht, weltweit deutsche Standards umzusetzen, sondern die Einhaltung grundlegender Menschenrechte entlang der Lieferkette zu sichern.
Dafür werden Unternehmen zur Umsetzung definierter Sorgfaltspflichten verpflichtet. Diese gelten nicht nur für den eigenen Geschäftsbereich, sondern auch für das Handeln von Vertragspartnern und Zulieferern. Die Verantwortung von Unternehmen in Deutschland besteht also über die ganze Lieferkette – angefangen bei Rohstoffen bis hin zum fertigen Verkaufs-Gut. Damit sind nicht nur deutsche Unternehmen von dem neuen Gesetz betroffen, sondern auch Lieferanten aus dem Ausland.
Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes in Unternehmen
Das Lieferkettengesetz gilt zunächst für Unternehmen mit 3000 oder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im deutschen Inland. Ab 2024 müssen sich auch Unternehmen mit mindestens 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an das Gesetz halten.
Betroffene Unternehmen müssen in einem ersten Schritt ihre Lieferketten auf potenzielle Risiken analysieren und daraufhin, sollte es Risiken geben, diese bewerten und entsprechend priorisieren. Basierend auf den ermittelten Risiken haben Unternehmen eine Grundsatzerklärung zu veröffentlichen und Massnahmen zu ergreifen, um Menschenrechtsverstösse sowie Umweltschädigungen zu vermeiden oder zu minimieren. Welche Massnahmen zu ergreifen sind, wird ebenfalls durch das Gesetz dargelegt. Die Anforderungen an Unternehmen sind dabei bezüglich der möglichen Einflussnahme und den unterschiedlichen Stufen in einer globalen Lieferkette abgestuft.
Besondere Beachtung gilt unteranderem:
- dem Schutz vor Kinder- und Zwangsarbeit sowie Diskriminierung
- dem Schutz vor Landraub
- dem Arbeits- und Gesundheitsschutz
- dem Recht auf faire Löhne
- dem Recht auf Gewerkschaftsbildung
- dem Schutz vor umweltrechtlichen Verstössen
Weitere neue Pflichten für betroffene Unternehmen sind die Einrichtung von Beschwerdekanälen für Menschen in den Lieferketten sowie eine regelmässige Berichterstattung zum Lieferkettenmanagement.
BAFA überprüft die Einhaltung des Gesetzes
Die Einhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes wird vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geprüft. Die Behörde überprüft die Unternehmensberichte und bearbeitet eingereichte Beschwerden. Werden Verstösse festgestellt, können empfindliche Bussgelder verhängt werden. Diese betragen bis zu 8 Millionen Euro, bei Unternehmen mit mehr als 400 Millionen Euro Jahresumsatz bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes. Unter Umständen können Unternehmen auch von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
Lieferkettengesetz auf EU-Ebene
Auch auf EU-Ebene finden globale Lieferketten in jüngerer Vergangenheit zunehmend Beachtung: Anfang Dezember 2022 haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Position für eine europaweite Lieferkettenrichtlinie geeinigt. Das könnte EU-weit für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen, stellt also für deutsche Unternehmen eine gute Nachricht dar. Diese können sich im Rahmen des deutschen Lieferkettengesetzes auf künftige EU-Anforderungen vorbereiten. Über Details des EU-Gesetzes muss noch im EU-Parlament verhandelt werden, dieses wird seine Position voraussichtlich im Mai 2023 festlegen.
Die bisherigen Vorschläge gehen allerdings über die seit Januar 2023 geltenden deutschen Vorschriften hinaus, Deutschland müsste diese also entsprechend anpassen. Betroffen sind hier ausserdem auch Unternehmen aus Drittstaaten mit einem Umsatz von 40 oder 150 Millionen im europäischen Binnenmarkt, hierzu gehören unter anderem auch Unternehmen aus der Schweiz mit einer Niederlassung in einem der EU-Staaten.
Auswirkungen des Lieferketten-Gesetzes auf die Life Science Branche
Auch Unternehmen in der Life Science Branche wie Arzneimittelhersteller oder Hersteller von Medizintechnik sind von den neuen gesetzlichen Regelungen betroffen. Die aktuelle Situation wird von verschiedenen Seiten unterschiedlich bewertet: Während der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) erklärte, dass viele Unternehmen in der Chemie- und Pharma-Industrie bereits sehr aktiv wären, erhielt Stiftung Warentest in einer Umfrage im Jahr 2022 nur wenig Rückmeldung von befragten Firmen.
Insbesondere in der pharmazeutischen Industrie wird zudem befürchtet, dass das neue Gesetz die Lieferengpässe verschärfen könnte, da nicht nur grosse Konzerne, sondern auch der Mittelstand und Kleinunternehmen mittelbar betroffen sind. Grund dafür ist, dass diese oftmals Teil der Wertschöpfungskette grösserer Konzerne sind. Die Aufarbeitung der eigenen Lieferketten ist komplex und zeitintensiv und gleichzeitig ist die Zahl der möglichen Lieferanten vor allem in der Arzneimittelherstellung begrenzt. Die Verlagerung der Produktion zurück nach Europa ist nicht nur teuer, sondern erfordert auch Zeit, um die entsprechenden Kapazitäten aufzubauen. Mit Blick auf den Fachkräftemangel kommt hier noch ein weiteres Problem herausfordernd hinzu.
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: viel Kritik von allen Seiten
Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hat von Anfang an mit Kritik zu kämpfen. So bemängeln Umweltverbände und Menschenrechtsgruppierungen, dass nicht zivilrechtlich für Missstände gehaftet wird und dass die Sorgfaltspflicht nur unmittelbare Zulieferer betreffe, nicht die ganze Lieferkette. Dass Unternehmen unter 1000 Mitarbeitern bis dato nicht betroffen sind, wird ebenfalls kritisiert.
Auch die Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis aus über 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen, übt Kritik. Sie wirft dem Bundeswirtschaftsministerium und einigen Unions-Abgeordneten vor, dass das neue Gesetz zu viele Ausnahmen bezüglich der unternehmerischen Sorgfaltspflichten mache und kein genügendes Zeichen für den Klimaschutz setzt.
Von der anderen Seite kritisieren Unternehmensverbände, dass ein strenges Lieferkettengesetz, gerade in Zeiten, in denen die Wirtschaft durch die Covid-19-Pandemie geschwächt ist, hohe Kosten verursacht und damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland schadet. Ausserdem sei es vor allem für kleine und mittlere Unternehmen nicht möglich, die gesamte Lieferkette zu überprüfen.
Dennoch ist das Umdenken bereits in vielen Köpfen unserer Gesellschaft in vollem Gange: Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fordern zunehmend mehr Nachhaltigkeit von Unternehmen und den entsprechend verantwortlichen Umgang mit Ressourcen, Massnahmen zum Klimaschutz und einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit.