Seit Anfang des Jahres wird ein Verbot von PFAS in der Europäischen Union diskutiert. Die Europäische Chemikalienagentur ECHA hat hierzu einen Vorschlag bei der Europäischen Kommission eingereicht. Bislang sind nur einzelne PFAS, wie beispielsweise die Perfluroktansäure (PFOA), in der EU verboten. Wird der Vorschlag zum Verbot weiterer dieser Stoffe angenommen, müssten alle Substanzen – mit Übergangsfristen – vom Markt genommen werden.
Was sind PFAS?
Die Abkürzung PFA steht für per- und polyfluorierte Chemikalien. Diese Stoffgruppe umfasst damit nach letzten Schätzungen mehr als 10.000 verschiedene Substanzen, die nicht natürlich vorkommen, sondern chemisch hergestellt werden. Alle PFAS enthalten Kohlenstoff-Fluor-Bindungen und haben wasser-, schmutz- oder fettabweisende Eigenschaften. Deshalb werden sie branchenübergreifend in vielen Alltagsprodukten wie Handys, Solarpaneelen, wasserdichter Kleidung, beschichteten Pfannen, Kosmetik oder in medizinischen Geräten verwendet. PFAS werden auch als „Ewigkeitschemikalien“ bezeichnet, da sie in der Natur kaum oder nur langsam abgebaut werden können. Dies hat zur Folge, dass sie sich in Wasser, Böden, Lebensmitteln, Organismen und sogar im Menschen anreichern können – sie sind bioakkumulierend. Erste gesundheitsschädliche Folgen konnten für einige dieser Stoffe bereits nachgewiesen werden: Sie wirken toxisch auf das Immun- und endokrine System des Menschen.
PFAS in der Medizintechnik
PFAS werden in den unterschiedlichsten Branchen eingesetzt, darunter die Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt, Biomedizin, Kosmetikindustrie, aber auch in der Medizintechnik. Hier kommen vor allem feste Fluorpolymere in der Herstellung im Bereich der Endoskopie, Kardiologie, Implantologie, oder der minimalinvasiven Chirurgie zum Einsatz. Betroffene Produkte sind dabei unter anderem Endoskope, Herzkatheter, Implantate, Stents, Narkosegase, MRT, CT, oder Dialysemaschinen – in Summe belaufen sich die Zahlen auf etwa 3000 betroffene Produkte. Bislang fehlen in der Medizintechnik an vielen Stellen Alternativen zu den bisherigen PFAS.
Warum PFAS in der Medizintechnik eingesetzt werden
Was eigentlich Grund für das Verbot ist, kann in der Medizin sogar Argument für den Einsatz von PFAS sein: Sie verbessern die Haltbarkeit und Leistung von medizinischen Implantaten und Prothesen, weil diese im menschlichen Organismus erhalten bleiben. Ausserdem sind PFAS nicht biokompatibel, sodass die Produkte nicht im oder mit dem menschlichen Körper reagieren. Dadurch ist auch die Sterilität von vielen Medizinprodukten gegeben. Zu den weiteren Vorteilen gehört die Verringerung des Verletzungsrisikos bei Patienten beispielsweise bei Endoskopen, weil PFAS hier die Gleitfähigkeit der Instrumente verbessern. Zudem wird die elektrische Leitfähigkeit und die Widerstandsfähigkeit verbessert, sodass einzelne Produkte wiederaufbereitet werden können. Dies trägt zu einer höheren Lebensdauer bei.
Der Vorschlag zum EU-weiten PFA-Verbot
Der derzeit bei der EU-Kommission vorliegende Vorschlag wurde von Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Schweden erarbeitet und bereits am 13. Januar bei der ECHA eingereicht. Ziel ist, dass PFAS nur dann verwendet werden, wenn es bislang und in absehbarer Zukunft keine geeigneten Alternativ-Stoffe gibt oder wenn die sozio-ökonomischen Vorteile die Gefahren für Mensch und Umwelt übertreffen. Der Vorschlag enthält ein Verbot von toxischen und leicht flüchtigen Substanzen und damit verbunden auch ein Verbot von alltäglichen Produkten.
Ein vollständiges Verbot ohne Ausnahmen und einem Übergangszeitraum von 18 Monaten und ein vollständiges Verbot mit verwendungsspezifischen zeitlich begrenzten Ausnahmen (18-monatiger Übergangszeitraum plus entweder fünf oder 13,5 Jahre Ausnahmezeitraum)
Konkret betroffen sind Fluorkunststoffe wie PVDF, ECTFE, PFA oder FEP. Die Liste enthält derzeit 235 Einträge von Einzelsubstanzen, aber auch Gruppen, sodass die Gesamtzahl höher ist. Ohne diese sind in der modernen Medizin und Medizintechnik die Analytik, die Herstellung von Impfstoffen, oder die Implantat-Technologie stand heute kaum oder nicht mehr möglich. Die Übergangsfristen sind unter anderem von den Alternativen abhängig: Wenn bislang kein alternatives Material vorgesehen ist, beträgt die Übergangsfrist 13,5 Jahre. Bei bereits bestehenden Alternativen verkürzt sich die Dauer auf fünf Jahre. Am 22. September 2023 endet das 6-monatige Konsultationsverfahren der EU-Kommission. Bis dahin können Hersteller und Unternehmen den Vorschlag kommentieren und weiterführende Informationen anbringen, um mögliche Ausnahmen zu forcieren und zu begründen. Wird dieser Vorschlag angenommen, stellt dies das umfangreichste Verbot chemischer Stoffe seit der REACH-Verordnung aus dem Jahr 2007 dar.
Ein Blick in die Schweiz: PFAS im Nachbarland
Bislang sind in der Schweiz nur die zwei gefährlichsten Stoffe verboten. Dennoch wird der Einsatz von PFAS auch in der Schweiz immer wieder diskutiert. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) gab bekannt, die Entwicklungen auf EU-Ebene zu beobachten und die Verordnung zu prüfen, sobald der finale Rechtstext vorliegt.
Mögliche Konsequenzen und Folgen für die Medizintechnik
Auch für die Medizintechnik sind die Auswirkungen des Vorschlags gravierend. Vor allem in Bereichen, in welchen es bislang keine Alternativen gibt, gilt es nun, andere Lösungen zu finden. Der Prozess zur Markteinführung solcher Medizinprodukte ist unter Umständen jedoch deutlich länger als die Übergangsfrist: Die Registrierung kann zwischen drei und vier Jahren in Anspruch nehmen, die Materialforschung ebenfalls 2-3 Jahre. Hinzu kommen Tests hinsichtlich der Biokompatibilität, klinische Studien, die Konformitätsbewertung und letztlich die Zulassung. Damit verbunden sind also lange Wartezeiten für die Zertifizierung. In einigen Bereichen sind jedoch unbegrenzte Ausnahmen vorgesehen, beispielsweise bei Pflanzenschutzmitteln, Biozidprodukten und Human- sowie Tierarzneimitteln. Hier gelten sektorspezifische Regelungen und eine Überprüfung, wie die Wirkung auf die Umwelt minimiert werden kann. Ob und inwiefern diese Ausnahmen greifen, bleibt letztendlich eine Einzelfallbetrachtung.
Kostendruck, Wartezeiten und Lieferketten
Für Unternehmen in der Medizintechnik – und auch darüber hinaus – bedeutet das potenzielle Verbot einen hohen Innovationsdruck und damit auch entsprechend hohe Kosten und Investitionen bei gleichzeitigen Umsatzeinbussen. Auch die Lieferketten sind von dem Verbot betroffen, wenn zugelieferte Komponenten PFAS enthalten. Letztendlich trifft diese Regelung auch den Verbraucher und im Falle der Medizintechnik den Patienten selbst, wenn Operationen nicht mehr durchgeführt werden können oder Medizinprodukte nicht mehr verfügbar sind.