Die Behandlung psychischer Krankheiten wie Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Phobien ist komplex und höchst individuell – und nicht immer können die Symptome durch konventionelle Therapieverfahren wie eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva oder eine kognitive Verhaltenstherapie gelindert werden. Daher wird beständig an neuartigen Therapieformen geforscht. Wir stellen fünf interessante Ansätze aus der Life Science Branche vor, die die Behandlung psychischer Krankheiten revolutionieren könnten.
Spravato®: Esketamin-Nasenspray gegen schwere Depression
Herkömmliche Antidepressiva zeigen bei etwa einem Drittel der Patienten keine Wirkung, zudem geht die Einnahme häufig mit schweren Nebenwirkungen einher. Jüngste wissenschaftliche Fortschritte ermöglichen jedoch die Entwicklung neuer Antidepressiva, die über andere Mechanismen wirken. Auf der Grundlage dieser Forschung haben die US-amerikanische FDA (Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde) und auch die Europäische Arzneimittelagentur nun Esketamin, eine mit der Clubdroge Ketamin verwandte Chemikalie, zugelassen. Dieser Wirkstoff soll auch bei therapieresistenten Patienten innerhalb weniger Stunden zu einer Verbesserung der Symptome führen. Ausserdem bietet Esketamin den Vorteil, dass das Medikament in Form des Nasensprays „Spravato“ angewandt wird. Durch die schnelle Wirksamkeit von Esketamin könnte zukünftig die Zeit bis zur Wirkung oraler Antidepressiva besser überbrückt werden und auch in akuten Notfallsituationen Abhilfe geschaffen werden. Dennoch besteht in der Wissenschaft noch Uneinigkeit über die Wirksamkeit. Experten kritisieren ausserdem das hohe Missbrauchspotential des Wirkstoffes sowie dessen nicht zu vernachlässigende Nebenwirkungen. Zu diesen zählen unter anderem erhöhter Blutdruck, Schwindel oder Bewusstseinsstörungen.
TMS: Hirnaktivitäten durch Magnetstimulation beeinflussen
Eine weitere neue Möglichkeit zur Behandlung von Depression ist die transkranielle Magnetstimulation, kurz TMS. Dieses innovative und gut verträgliche Verfahren, zu dem aktuell am Universitätsklinikum Tübingen geforscht wird, bewirkt den gezielten Ausgleich von aus der Balance geratenen Hirnaktivitäten. Bei der TMS werden die Nervenzellen durch Magnetimpulse stimuliert, was zu einer anhaltenden Anregung der Nervenzellenaktivität oder zur Normalisierung einer Überaktivität führt. Die tägliche Stimulation hilft den Betroffenen, wieder Kontrolle über die negative Gedankenwelt und Gefühle zu erlangen. In vielen Fällen verbesserte sich die Gemütslage der Patienten im Laufe der Behandlung, die etwa drei bis sechs Wochen andauert, deutlich. Sie berichten unter anderem von mehr Klarheit im Kopf, gesteigerter Kontrolle über ihre Gedanken und mehr Energie.
Dank Trip zur Heilung? Forschung zu psychedelischen Wirkstoffen wie Psilocybin
Bereits in den 1950er und 1960er Jahren versuchten Forscher halluzinogene Pilze („Magic Mushrooms“) oder LSD für psychotherapeutische Zwecke einzusetzen. Nun lassen neue Studienergebnisse erneut die Hoffnung aufleben, dass Psychedelika wirksame Medikamente für psychische Störungen sein könnten. Aus diesem Grund forscht aktuell die Uni Mannheim gemeinsam mit der Charité Berlin an dem Wirkstoff Psilocybin, der wichtigsten psychoaktiven Komponente in halluzinogenen Pilzen, und versucht herauszufinden, ob und wie dieser zur Unterstützung der psychotherapeutischen Behandlung genutzt werden kann. Durch unter ärztlicher Aufsicht erlebte Trips können Betroffene Zugang zu sehr tiefen Emotionen oder verdrängten Erlebnissen gelangen, was zu Schlüsselmomenten führen kann. Diese dienen dann als Grundlage für darauffolgende psychotherapeutische Sitzungen. Jedoch sollte die emotionale Instabilität, die durch das Aufbrechen der Emotionen entstehen kann, nicht unterschätzt werden. Aus diesem Grund macht die Verwendung nur unter Betreuung von Experten und im Rahmen eines Behandlungskonzeptes Sinn.
Künstliche Intelligenz, Teletherapie und Apps: neue Möglichkeiten für Behandlung und Forschung
Auch die digitalen Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten, die sich insbesondere im Zuge der Covid-19 Pandemie etabliert haben, schaffen neue Therapiemöglichkeiten für Patienten. Teletherapie erleichtert nicht nur Betroffenen in ländlichen Regionen den Zugang zu ärztlicher Betreuung, sondern verringert zudem bei Betroffenen, die sich noch nicht für eine Behandlung entschieden haben, die Hemmschwelle oder die Angst vor einer Stigmatisierung. Ausserdem können durch die digitalen Möglichkeiten die Kapazitäten von Gesundheits- und Sozialdiensten ausgebaut werden. Auch neue Gesundheits-Apps, welche die psychische Gesundheit durch Meditation oder das Tracking von Symptomen unterstützen, sind auf dem Vormarsch. Durch die Nutzung solcher Apps und Wearables können ausserdem leichter Gesundheitsdaten gesammelt und so repräsentativere Datenpools erstellt werden. Diese Datenmengen können dann mit Hilfe von KI ausgewertet werden. So hat das Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee, ein Programm entwickelt welches Daten von mehr als 5 000 Patienten, die wegen Selbstverletzungen oder Selbstmordversuchen eingewiesen wurden, analysiert. Anhand dieser Informationen konnten die Forschenden mit einer 84-prozentigen Trefferquote feststellen, ob Patienten innerhalb der nächsten Woche erneut einen Selbstmordversuch unternehmen werden und mit einer 80-prozentigen Trefferquote, ob sie es in den nächsten zwei Jahren versuchen würden. Der Einsatz von KI im Bereich der psychischen Gesundheit steckt noch in den Kinderschuhen, könnte aber die wichtigste Innovation in der psychischen Gesundheitsversorgung des 21. Jahrhunderts sein.
Virtual Reality – Unterstützung bei Angststörungen, Posttraumatischer Belastungsstörung oder Depression
Neuste Forschungsergebnisse legen nahe, dass VR-Brillen die Beschwerden von Patienten, die unter Angststörungen, einer posttraumatischer Belastungsstörung oder Depressionen leiden, lindern können. Durch das Eintauchen in die virtuelle Realität („Immersion“) können Betroffene sich gefahrlos ihren Ängsten stellen – ganz ähnlich wie bei einer psychotherapeutischen Konfrontationstherapie. Durch Erfolgserlebnisse im virtuellen Raum kann der Patient für die Realität „trainieren“, da die Betroffenen in der virtuellen Realität sich eher trauen, sich ihren Ängsten zu stellen, als im realen Leben. Auch bei depressiven Patienten konnten Behandlungen mit VR-Ansätzen bereits erste Erfolge vorweisen, indem positive Emotionen, beispielsweise durch virtuelle Begegnungen mit Tieren oder virtuelle Naturerlebnisse, ausgelöst werden. Durch die interaktiven Möglichkeiten in der virtuellen Realität können Patienten theoretische Ansätze aus einer Therapiesitzung vertiefen und vom passiven Lernen zur aktiven Umsetzung übergehen.
Auch das gesellschaftliche Verständnis für psychische Erkrankungen kann durch VR gesteigert werden. So entwickelte die Robert-Enke-Stiftung im Jahr 2019 eine VR-Brille, welche die Gedanken und Erlebniswelt der Erkrankten erlebbar macht. Ziel ist es, der Stigmatisierung entgegengewirkt werden und Nichtbetroffene für die Krankheit zu sensibilisieren.
Neue Forschungsansätze bergen enormes Potential für die Behandlung psychischer Krankheiten
Bereits seit mehreren Jahren findet ein gesellschaftliches Umdenken statt: Das Bewusstsein und die Sichtbarkeit für das Thema psychische Gesundheit wächst. Auch in der Forschung werden viele interessante Ansätze entwickelt, die nicht nur grosses Potential für die Behandlung psychisch Kranker bieten, sondern die Behandlung auch für eine grössere Masse an Menschen zugänglich machen. Viele Betroffene leiden viele Jahre lang unter den Symptomen ihrer Erkrankung. Häufig werden sie erst sehr spät behandelt oder müssen viele unterschiedliche Behandlungsverfahren ausprobieren. Innovative Ansätze, wie die Einbindung von Virtual Reality Ansätzen in die Behandlung, der Einsatz psychedelischer Wirkstoffe oder die transkranielle Magnetstimulation bergen enormes Potential und können Patienten Hoffnung geben.